11.11.18

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Geheimpapier enthüllt: Grenze hätte 2015 geschlossen werden können



Der WELT am SONNTAG liegen „Geheimpapiere“ zur Grenzöffnung im September 2015 und über die wirren Tage danach vor. Doch reiner Sprengstoff sind sie (leider) nicht. Die Dokumente weisen immerhin nach, dass eine Schließung der Binnengrenzen nach Österreich rechtlich unbedenklich, technisch und personell möglich und dringend notwendig gewesen wäre. Es war eine rein politische Entscheidung, dies nicht zu tun. Dafür trägt Kanzlerin Angela Merkel die letztliche Verantwortung. Die könnte sie notfalls mit Hilfe ihrer Netzwerke aussitzen, wie sie es ja schon angekündigt hat.


Die WamS-Dokumente zeigen aber auch, wie die deutsche Öffentlichkeit monatelang – im Prinzip bis heute – hinters Licht geführt wurde. Mit fadenscheinigen Begründungen wurde den Bürgern untergejubelt, weshalb die Grenzen für jeden, der „Asyl“ sagte, geöffnet bleiben müssten.
Die WamS-Dokumente enthüllen, wie die Verantwortlichen in Politik und Bürokratie versuchten, ihre Verantwortlichkeiten zu verschleiern. Sogenannte Non-Papers, Vermerke, die nie das Licht der Öffentlichkeit sehen durften, blieben ungezeichnet. Den WamS-Enthüllungen zufolge versuchten die Entscheidungsträger, möglichst wenig Papier zu produzieren und zu zeichnen, um später keine Spuren zu hinterlassen.
Die Zeit der Spurensuche und ihre Aufdeckung scheint jetzt – drei Jahre nach dem Migrations-Desaster – in eine entscheidende Phase zu kommen, kann man der WamS entnehmen. Vielleicht erkennbar an dem Bemühen der Kanzlerin, das Kapitel „unkontrollierte Grenzöffnung für Jedermann“ mit einem Basta zu schließen. Man solle sich nicht für den „Rest des Jahrzehnts damit beschäftigen“, was damals „vielleicht so oder so gelaufen“ sei. FDP-Chef Christian Lindner fordert sogar neuerdings einen Untersuchungsausschuss. Auch Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der Linken im Saarland, sieht die Notwendigkeit „über 2015 zu reden“. Per se kann die AfD in die Reihe derer verbucht werden, die eine vollständige Aufklärung der Vorgänge fordern, die heute zu einer gesellschaftlichen Spaltung geführt haben.
Und schon formiert sich starker Widerstand dagegen. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius sieht für einen Untersuchungsausschuss keine Notwendigkeit. Sogar CDU-Politik-Rentner Wolfgang Bosbach, sonst immer für eine Volte gut, sieht die Vorgänge vom Herbst 2015 als „wenig aufklärungsbedürftig“. Sein aktiver CDU-MdB-Kollege Christoph de Vries hält auch nichts von einem Untersuchungsausschuss: „Auf einer endlosen Vergangenheitsbewältigung liegt kein Segen“. Das neuerliche Lügen-Mantra der UA-Gegner: Man müsse jetzt nach vorne schauen.
Die WamS-Enthüllungen im Einzelnen:
Die Grenzschließung sei am 13. September aufgrund rechtlicher Unklarheit und Zweifeln an der wirksamen Durchsetzbarkeit abgelehnt worden. Vor allem aber hatte man Angst vor unschönen Bildern. Merkel und Vizekanzler Gabriel scheuten das Risiko, Innenminister de Maiziere kuschte. Bundespolizeipräsident Romann, der Zurückweisungen für machbar und notwendig hielt, musste schließlich seinen Einsatzbefehl in letzter Minute abschwächen. Es sollte nun gelten: Wer Asyl sagt, kommt rein.
Anfang November, als die Asylflut überbordete, wollten Spitzen von Innenministerium und Bundespolizei in einer Art Geheimkonferenz die Kanzlerin erneut zur Grenzschließung nach Österreich drängen. Bundespolizeipräsident Romann stellte seinen Plan vor, die mehr als 60 Grenzübergänge und Brücken nach Österreich zu schließen, notfalls mit Wasserwerfern und Tränengas.
Diesmal waren auch die juristischen Hürden beseitigt und die rechtliche Zulässigkeit geklärt. Die Regierung hätte rechtlich die Grenzen schließen können. Allerdings ließen sich die cleveren Beamten, so muss man die WamS-Berichterstattung interpretieren, nicht festnageln: Es werde lediglich die rechtliche Möglichkeit aufgezeigt, an der Grenze zurückzuweisen. Ob und in welchem Umfang, sei politisch zu entscheiden, meinten die Beamten. Entschieden wurde schließlich nichts, de Maiziere tauchte ab.
Die WamS: „Dadurch ist jetzt erstmals belegt: die Entscheidung, die Grenze im Herbst 2015 offen zu lassen, war eine rein politische, getroffen von den damaligen Spitzenpolitikern.“ Und weiter folgert die WamS: „Von einem bis heute zuweilen attestierten Rechtsbruch kann also keine Rede sein – die Regierung hatte es in der Hand, konkret zu gestalten.“
Über die dramatischen Monate hinweg wurde die Öffentlichkeit dumm gehalten. Die Begründung für das Festhalten an der Politik der offenen Grenzen änderte sich alle paar Tage, schreibt die WamS. Mal reichten die Polizeikräfte nicht, dann drohte eine Winterkatastrophe auf dem Balkanweg, schließlich wurde die Karte „Deutsche Verantwortung für Flüchtlinge“ gezogen.
Die WamS hat auch recherchiert, wie sich die beteiligten Verantwortlichen für kommende Zeiten offenbar absicherten: Je dramatischer sich die Lage entwickelt habe, desto weniger sei das politische Handeln dokumentiert worden. Die Beteiligten hätten versucht, von ihren internen Erwägungen so wenig wie möglich schriftlich festzuhalten. Wichtige Papiere blieben ohne Kennzeichnung. Offiziell haben sie somit nie existiert.
Nach Artikel 44 des Grundgesetzes kann und muss der Deutsche Bundestag auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Das wären mindestens 177 Abgeordnete. FDP (80) und AfD (92) verfügen aber nur über 172 Sitze. Sollten die Linken nicht mitziehen, hat Merkel noch einmal ihre Haut gerettet und kann sich beruhigt auf ihre Datscha zurückziehen.

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